
Über Sauerteig reden
Erklären, wie viel mehr dahinter steckt
Viele Bäckereien setzen heute wieder verstärkt auf Sauerteig als Triebmittel und Aromageber. Doch wie kommuniziert man dessen Vorteile effektiv an die Kundschaft? Urs Röthlin vom Richemont Kompetenzzentrum sowie Bäckermeister und Bäckereiberater Michael Kleinert haben wirksame Tipps zum Thema parat. Aus sinnlichen Beschreibungen des Geschmacks, der Bekömmlichkeit und der Frischhaltung lässt sich eine überzeugende Verkaufssprache entwickeln.
Zahlreiche Menschen achten heute auf eine bewusste Ernährung. Auch auf die Sortimente von Bäckereien wirkt sich das aus. Insbesondere in den letzten zwei Jahrzehnten führt der Trend verstärkt wieder zu Gebäcken auf Sauerteigbasis. Sie sind bekömmlicher, haben einen vielfältigen Geschmack und eine längere Frischhaltung.
Anders als die fertige Backware ist Sauerteig für die Kundschaft oft jedoch nur schwer zu fassen. Nicht das Triebmittel liegt in der Theke aus, sondern das Endprodukt, das man sehen, fühlen, riechen und schmecken kann. Mit Sauerteig kennen sich viele Endverbraucher/innen noch zu wenig aus. Betriebe sollten daher die Chancen einer auf Sauerteig ausgerichteten Verkaufssprache nutzen, um noch mehr Menschen für Sauerteigbrot zu begeistern.
Verknüpfte Vorstellungen
Doch wie gelingt es, den Kunden und Kundinnen die Vorteile von Sauerteig aufzuzeigen? Wie kommuniziert man Sauerteig am besten? Bäckermeister und Michael Kleinert, Leiter des Instituts für Lebensmittel- und Getränkeinnovation bei der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften, kennt sich mit dem Marketing von Backwaren sehr gut aus. Als Mitautor der Weinheimer Brotsprache weiß er, wie wirksam Worte sein können. So wichtig der Geschmack und die Qualität der angebotenen (Sauerteig-)Gebäcke ist, am Ende des Tages müssen Betriebe den richtigen Ton treffen, um sie zu vermarkten.
„Sauerteig kann man gut kommunizieren“, sagt Michael Kleinert. „Die Leute haben Bilder im Kopf und eine klare Vorstellung, was Sauerteig ist.“ Grundsätzlich sei die Herstellung mit Sauerteig positiv besetzt. Verblüffend sei dagegen, wie wenig die Leute eigentlich über die Funktionalität von Sauerteig wüssten und wie wenig im Bäckereifachverkauf darüber geredet werde, so der Experte. Woran könnte das liegen?
Laut Kleinert sind der Klang des Wortes Sauerteig und die damit verbundenen Assoziationen nicht zu unterschätzen. In erster Linie sei „sauer“ ein starkes Wort und ein erster Hinweis darauf, dass etwas sauer schmeckt. Nicht alle Vorstellungen, die mit diesem Wort verknüpft sind, sind jedoch positiv. Darüber hinaus blenden Menschen auch die Funktionalitäten des Sauerteiges zu häufig aus. Dass Sauerteig länger frisch hält, klingt für Fachleute vielleicht banal, ist für Endverbraucher/-innen aber gar nicht so selbstverständlich. Hier lohnt es sich, konkret auf die Vorteile hinzuweisen.

Sauerteig sorgt für Frischhaltung im Brot und bringt hunderte
verschiedener Aromastoffe mit sich
Geschichten erzählen
Noch bevor man jedoch in die tieferen Ebenen der Produktbeschreibung einsteigt, lassen sich mit einer guten Geschichte bereits erste Kundinnen und Kunden gewinnen.
Welchen Einfluss sie auf den Verkaufserfolg haben, weiß Urs Röthlin, Leiter der Abteilung Bäckerei & Feinbäckerei des Richemont Kompetenzzentrums in Linz. Für ihn liegt der Nutzen von Sauerteig für Bäckereien unter anderem darin, dass sie sich mit Produkten abheben können. So erfährt das Triebmittel in der Schweiz aktuell eine Renaissance. „Mit Sauerteig kann eine gute Geschichte erzählt werden, wie das Brot gebacken wurde, oder zum Sauerteig selbst“, sagt Röthlin. „Leute, die in eine Handwerksbäckerei gehen, suchen das Romantische im Brot.“
Diese Erkenntnis nahm der Fachlehrer aus zahlreichen Seminaren mit backinteressierten Amateur(inn)en mit. Dass Sauerteig an sich ein spannendes Thema ist, sähe man daran, wie gut manche schon darüber Bescheid wüssten und mit wie viel Eifer sie das Hobby betrieben. Nicht nur die Idee, aus ganz wenigen Rohstoffen etwas ganz Großes zu machen, sondern die ganze weltweite Bewegung dahinter habe ein hohes erzählerisches Potenzial, ist Röthlin überzeugt.
Wer es mit Geschichten auf die Spitze treiben will, könne sich sogar bis auf die Mikroebene bewegen. „Wenn die Bäckerei Details über den Sauerteig kennt, kann der Kundschaft davon berichtet werden.“ Als Beispiel nennt der Fachlehrer wilde Hefen, die sich im Teig vermehren, sowie den Bakterienstamm Lactobacillus Sanfranciscensis. Dieser wurde in San Francisco erstmals isoliert sowie nachgewiesen und ist weltweit bekannt. Wer in der Bäckerei damit wirbt, habe automatisch eine spannende Geschichte parat, so Röthlin.
Das Ebenenmodell
Darüber hinaus sollten die Vielfalt und Funktionalität des traditionellen Triebmittels im Verkaufsgespräch gut kommuniziert werden. Zu diesem Zweck schlägt Kleinert ein Ebenenmodell vor, aus dem man eine eigene Verkaufssprache für jedes Sauerteigprodukt entwickeln kann (siehe Grafik auf Seite 35). Über allem steht das Endprodukt, also beispielsweise ein Sauerteigbrot. Die drei Ebenen darunter dienen dazu, eine wirkungsvolle Verkaufssprache aus den spezifischen Eigenschaften des Gebäcks abzuleiten.
1. An das Vorwissen anknüpfen
Die erste Ebene schließt an das diffuse Vorwissen der Kundinnen und Kunden an. So sind bei der breiten Masse zwar einige Kenntnisse über Geschmack, Bekömmlichkeit sowie Frischhaltung vorhanden, es handelt sich oft jedoch nicht um gesichertes Wissen. Um die Verkaufssprache für ein Produkt zu entwickeln, gilt es zunächst, die Kundschaft dort abzuholen, wo sie zu Beginn des Verkaufsgespräches steht. Auf diese Ebene gehören der Wortklang, die Geschichte des Sauerteigs sowie das vorhandene Vorwissen und die damit verbundenen Vorstellungen.
2. Schlüsselbegriffe verwenden
Anknüpfend an das Vorwissen, werden jetzt in der Verkaufssprache wichtige Schlüsselbegriffe ins Gespräch gebracht. Dabei sollte man sich laut Kleinert auf wenige Attribute beschränken. So bietet es sich an, mit den zentralen Begriffen Geschmack, Gesundheit, Bekömmlichkeit und Frischhaltung zu arbeiten, die die Vorteile von Sauerteig auf den Punkt bringen. Je nach Gesprächsverlauf arbeitet man sich dann in die nächste Unterebene vor.
3. Erklärungen hinzufügen
Auf dieser Ebene kann es ins Detail gehen. Für alle drei Schlüsselbegriffe Geschmack, Bekömmlichkeit und Frische gibt es mehrere Erklärungsansätze, die sich für das Verkaufsgespräch anbieten. Sie gilt es, herauszuarbeiten und dann in knackigen Sätzen zu verpacken.

Eine bewusste Ernährung ist für immer mehr Menschen von größerer Bedeutung
Tiefer ins Detail
Um fachgerecht auf all diese Aspekte der dritten Ebene eingehen zu können, muss das Verkaufspersonal inhaltlich gut geschult sein und sollte selbst über gesichertes Wissen verfügen. Zum Thema Geschmack kann man sich folgende Fragen stellen, um sich effektiv auf das Verkaufsgespräch vorzubereiten:
• Wie schmeckt das jeweilige Endprodukt?
• Welche Aromen sind auf den verwendeten Sauerteig zurückzuführen?
• Wie setzt sich der Geschmack des Sauerteigbrotes zusammen?
Um die Antworten herauszuarbeiten, kann man sich beispielsweise am Aromarad für Sauerteig von der Firma Puratos orientieren (siehe Grafik auf Seite 36). In dieser Übersicht werden zunächst die Geschmacksgruppen sauer, fermentiert, cremig, Maillard, gemälzt und fruchtig unterschieden, um verschiedene Aromen dieser Produkte beschreibbar zu machen. Sie unterteilen sich wiederum in Unterkategorien. Bei einer Verkostung kann man die unterschiedlichen Geschmacksnuancen herausarbeiten.
Auf die Verwendung des Wortes „sauer“ sollte laut Kleinert bei der Aromabeschreibung für Sauerteig eher verzichtet werden, da es manche Menschen abschreckt. Stattdessen kann man von milden bis intensiven Fermentationsaromen, fruchtigem Geschmack oder einer Essignote sprechen. Des Weiteren gilt es, darauf zu achten, dass die Beschreibung nicht zu kompliziert ausfällt. Eine Beschreibung wie „Milde Fermentationsnoten mit einem Hauch von Karamell und einer leichten Traubennote“ reicht maximal aus, um im Kopf der Kundschaft ein wahres Feuerwerk an Assoziationen zu wecken. Weniger ist mehr.
Ernährungsphysiologische Eigenschaften
Um das Thema Bekömmlichkeit zu untermauern, zählen die ernährungsphysiologischen Eigenschaften des Sauerteigbrotes. In diesen Bereich fallen Aspekte wie der Abbau von FODMAPs, die erhöhte Bioverfügbarkeit von Mineralstoffen oder der niedrige glykämische Index eines Sauerteigbrotes. FODMAPs steht für fermentierbare Di-, Oligo- sowie Monosaccharide und Polyole. Dabei handelt es sich um Kohlenhydrate und Zuckeralkohole, die im Dickdarm von Darmbakterien fermentiert werden und im Verdacht stehen, Völlegefühl und Unwohlsein zu verursachen. Wissenschaftlich lässt sich diese These nicht halten. Tatsächlich ist der FODMAPs-Gehalt in Brot sehr gering. Eine längere Teigruhe und Fermentation kann FODMAPs zusätzlich verringern. Hinzu kommt ein weiterer gesundheitlicher Aspekt: Sauerteig macht Mineralstoffe im Teig überhaupt erst verfügbar, da die lange Teigführung und die Senkung des pH-Wertes den Abbau von Phytinsäure zur Folge hat. Diese Säure hemmt die Bioverfügbarkeit von Mineralstoffen und Spurenelementen.
Sauerteig-geführte Backwaren haben darüber hinaus einen niedrigeren glykämischen Index (GI) als Brote ohne Sauerteig. Er ist der Maßstab dafür, wie schnell oder langsam ein Lebensmittel den Blutzuckerspiegel ansteigen lässt. Produkte aus Auszugsmehlen können einen im Vergleich hohen GI aufweisen, was die Diabetes-Gefahr steigert. Sauerteig wirkt dem entgegen. Die ernährungsphysiologischen Eigenschaften von Sauerteig sind also kein Marketing-Kniff, sondern basieren auf fundierten Fakten.
Die Sache mit der Haltbarkeit
Bleibt die Frische. Hier wird es wieder alltagspraktisch: Das Brot hat durch den Sauerteig eine längere Haltbarkeit und schmeckt länger frisch. Darauf kann man im Verkaufsgespräch gut eingehen. So binden Sauerteigbrote mehr Wasser als Brote ohne Verwendung von Sauerteig. Das Brot trocknet – bei korrekter Lagerung – langsamer aus. Außerdem hat Sauerteig weitere Eigenschaften, die bewirken, dass das Endprodukt eine längere Haltbarkeit aufweist. Die Mikroorganismen im fermentierten Teig hemmen aufgrund des niedrigeren pH-Wertes das Wachstum von Schimmel.

FODMAPs stehen im Verdacht, Unverträglichkeiten zu verursachen
Ein weiteres Verkaufsargument ist die verbesserte Krustenstruktur. „Sauerteigbrote, gerade im Weizenbereich, haben einfach eine knusprige Kruste, die auch länger frisch bleibt, dem Brot aber auch viel Aroma gibt“, sagt Röthlin. Sauerteig habe außerdem sehr positive Auswirkungen auf die Krume, betont er. Den Vorbehalt, dass Sauerteigbrote sehr „kompakt“ seien, dürfe man aufgreifen und aufzeigen, dass es auch sehr luftige Sauerteiggebäcke gebe.
Eigene Sprache entwickeln
Insgesamt gibt das Ebenenmodell Verkaufskräften also die Möglichkeit, auf die wesentlichen Vorteile von Sauerteigbrot einzugehen und bestimmte Aspekte auf Nachfrage zielführend zu beantworten. Dabei sei es wichtig, individuelle Formulierungen anzuwenden, so Kleinert. Nur dann sei die Sprache auch authentisch. Statt zu geschwollen zu reden, gelte der Grundsatz: „kurz, präzise und geistreich oder emotional“, so der Bäckereiberater.
Wer sich mit den angebotenen Produkten auseinandersetzt, wird feststellen, wie gut sich mit der Kundschaft über Sauerteig reden lässt. Dabei kann man mitunter sehr in die Tiefe gehen, auch wenn manche Kundinnen und Kunden nicht auf die dritte Ebene der Produktbeschreibung folgen werden. Orientiert man sich an den vier großen Schlüsselbegriffen der zweiten Ebene, weckt man beim einen oder der anderen mit großer Sicherheit weiterführendes Interesse. So kann man mit Sauerteigspezialitäten punkten und sich vom Wettbewerb abheben.
Fotos:
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Julia Sedaeva
ricka_kinamoto
The Little Hut