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Ist das noch Handwerk?

Ist das noch Handwerk?

Bäckereimaschinen

Digitalisierung, Konnektivität, Automation – noch vor wenigen Jahrzehnten wäre die Verknüpfung dieser Themen mit dem Backhandwerk kaum denkbar gewesen. Nicht erst seit kurzem wird allerdings deutlich: Die Trends sind längst in handwerklichen Backstuben und den dazugehörigen Verkaufsstellen angekommen. Datenströme fließen von der Kasse in die Warenwirtschaft und zurück. Maschinen sowie Anlagen in der Backstube werden eingesetzt, um Prozesse effizienter zu gestalten.

Nicht nur die Zahl automatisierter Lösungen für den Bäckereibetrieb steigt stetig, auch die Notwendigkeit, Kosten zu senken und qualifizierte Arbeitskräfte zu entlasten, nimmt zu. Maschinen stellen eine Möglichkeit dar, beides zu tun. Anders, so die Auffassung mancher, könne eine Bäckerei kaum noch gewinnbringend wirtschaften. Dabei hängt es stark vom Konzept und der Betriebsgröße ab, welche Lösungen zum Einsatz kommen und sich auch langfristig rechnen.

Während zwar auf der einen Seite eine steigende Zahl an Neugründungen kleinerer Brot-Manufakturen in der Branche zu verzeichnen ist, entwickeln sich andere Betriebe in die Breite und erweitern ihre Kapazitäten stetig – auch mithilfe technischer Anlagen. Wird es also Zeit, den Handwerksbegriff generell neu zu definieren? Ganz so einfach kann man die vielen unterschiedlichen Betriebskonzepte in der Branche jedoch nicht unter einen Hut bringen.

Wortursprung
Der Ursprung des Begriffes „Handwerk“ lässt sich in Schriften bis ins 11. Jahrhundert zurückverfolgen. Er wurde vom althochdeutschen sowie vom mittelhochdeutschen Wort „hantwerc“ abgeleitet, das „Handarbeit“ bedeutet. Im etymologischen Wörterbuch von Wolfgang Pfeifer wird Handwerk in den 1990er-Jahren als „überwiegend mit Hand und (einfachem) Werkzeug ausgeübte Berufstätigkeit“ beschrieben. Auch in nachfolgenden Definitionen findet der Einsatz der Hände noch Erwähnung. So kennzeichnet der Duden Handwerk als eine „[selbstständige] berufsmäßig ausgeübte Tätigkeit, die in einem durch Tradition geprägten Ausbildungsgang erlernt wird und die in einer manuellen, mit Handwerkszeug ausgeführten produzierenden oder reparierenden Arbeit besteht“. Dabei spielt der Einsatz von Maschinen in der Berufspraxis von Bäckerinnen und Bäckern schon lange eine Rolle.

Während Brötchen- oder Teiganlagen mancherorts nach wie vor als nicht-handwerklich kritisiert werden, stellt wohl kaum jemand den Nutzen moderner Kneter infrage. Insbesondere dort, wo eine Maschine wie diese in der Bäckerei Zeit einspart und schwere körperliche Arbeit erleichtert, scheint der Vorteil zu überwiegen und der Handwerksbegriff nicht angezweifelt zu werden.

Vielmehr wird der Kneter – wie auch vergleichbare Maschinen – als unterstützendes Handwerkszeug interpretiert. Doch gilt das auch für größere Anlagen? Und wo zieht man die Grenze?

Eine klare Linie sowie Transparenz schaffen Orientierung für die Kundschaft und auch die Mitarbeitenden im Betrieb

Erweiterung des Handwerksbegriffs
„Für mich bedeutet Handwerk, im Laufe des Prozesses die Hand am Teig zu haben, zum Beispiel beim Formen“, sagt Max Schöppner, Geschäftsführer und Produktionsleiter der Oberkrämer Bäckerei & Konditorei Plentz. Erst seit kurzem gibt es eine neue Brötchenanlage in der Backstube des Betriebs. Aus Sicht des Bäckermeisters stellt sie eine erhebliche Entlastung dar, ohne dass er seine Handwerksphilosophie in Frage stellen muss. Neuere Definitionen des Handwerks lassen den ursprünglichen Bezug zu mit den Händen ausgeführten Tätigkeiten jedoch außen vor.

So ist im Gabler Wirtschaftslexikon zu lesen: „Die handwerkliche Tätigkeit, die von der industriellen Massenproduktion abzugrenzen ist, ist eine selbstständige Erwerbstätigkeit auf dem Gebiet der Be- und Verarbeitung von Stoffen sowie im Reparatur- und Dienstleistungsbereich.“ Eine klare Unterscheidung – insbesondere größerer Filialisten – von der Backindustrie scheint auf dieser Basis zunehmend schwierig zu werden.

Das zeigte sich auch in der Diskussion auf dem Brotforum an der Weinheimer Bundesakademie im Februar. Dort berichtete Johann Schäfer, Geschäftsführer von Schäfer Dein Bäcker, über die zielgerichtete Expansionsstrategie seines Unternehmens, das an einer Wachstumsvorgabe von 20 Prozent Umsatz pro Jahr ausgerichtet ist. Die Frage, ob der Betrieb aus seiner Sicht noch handwerklich arbeitet, beantwortete er nicht eindeutig. Vielmehr spiele diese Frage für ihn keine wesentliche Rolle mehr, so der Unternehmer.

„Ein Handwerksbetrieb ist für den Zentralverband ein Betrieb, der in die Handwerksrolle eingetragen ist“, erklärte denn auch Bäcker-Präsident Roland Ermer auf dem Podium der Weinheimer Akademie. Somit benennt er den kleinsten gemeinsamen Nenner, Prozesse und Vorgehensweisen in den Backstuben bezieht Ermer hingegen nicht ein.

„Handwerk bedeutet für mich Frische“, äußerte sich Marc Kranz, scheidender Hauptgeschäftsführer bei Die Lohners, am Rande der Veranstaltung. Im Gegensatz zur Industrie würden die Teiglinge seiner Bäckerei zeitnah ausgeliefert und heben sich daher deutlich von industriellen Produkten ab. Der Familienbetrieb mit Sitz in Polch versorgt täglich etwa 180 Fachgeschäfte in der Region.

Eigene Werte bestimmen
Eine weitere Option, Handwerk zu definieren, bietet der Berufsverband „Die Freien Bäcker“ an. Erklärtes Ziel der Organisation sind unter anderem der Erhalt und die WeiterentwickHerstellung von Backwaren ohne technische (exogene) Enzyme“, aber auch der „Aufbau regionaler Wertschätzungsketten zu einem ökologisch und sozial gerechten Wandel der Land- und Lebensmittelwirtschaft“.

Die Nutzung technischer Hilfsmittel lehnt der Verband ab, sofern sie „nicht als Werkzeug zur Erleichterung der Tätigkeit und Unterstützung der Handfertigkeiten dient, sondern handwerkliche Arbeit verdrängt“. Ist ein Unternehmen gezwungen, „den Rohstoff an die Maschine anzupassen, statt die Herstellungsweise an die Rohstoffeigenschaften“, sei dies nicht im Sinne der Freien Bäcker, ist auf ihrer Über-uns-Seite zu lesen.

Eine Lösung, sich als handwerklicher Betrieb zu positionieren, ist demnach die Bestimmung des Handwerks entsprechend der Zutatenlisten und definierter (zusatzstofffreier) Prozesse. Einigkeit besteht in der Branche jedoch auch darüber nicht. Letztlich bleibt es die Aufgabe jeder handwerklichen Bäckerei, sich selbst über das eigene Wertesystem Gedanken zu machen und dann auch entsprechend zu handeln.

Die Definition von Werten für das Unternehmen dienen als Kompass und helfen bei künftigen Entscheidungen

Empfehlenswert ist es, einen klaren Wertekanon für den Betrieb zu formulieren, der einen eigenen Handwerksbegriff einbezieht. Das hat gleich mehrere Vorteile:

1. Es schafft Klarheit für eigene Entscheidungen.
Wer festgelegt hat, welche innerbetrieblichen Werte gelten, sollte das bei Investitionen und Rezepturen berücksichtigen. Hier gilt es, genau zu prüfen, ob eine mögliche Anschaffung wirklich zum Selbstverständnis des Unternehmens passt und ob eine Zutat wirklich geeignet scheint.

2. Die Mitarbeitenden wissen, woran sie sind.
Im Inneren erzeugt so ein Wertekanon Orientierung, auch in Hinblick auf das Handeln jeder einzelnen Person. Als Multiplikatoren werden Teammitglieder die Werte des Unternehmens nach außen tragen – vorausgesetzt, die Werte und das Handeln der Unternehmensführung stimmen überein.

3. Das Marketing kann eindeutige Botschaften formulieren.
Diese sollten sich an den vorgegebenen Werten orientieren und den Markenkern der Bäckerei transparent widerspiegeln. Bestenfalls werden die Sprache und jede einzelne Kampagne daran angepasst.

4. Die Kundschaft erfährt unmissverständlich, wofür der Betrieb steht.
Modernes Handwerk entspricht vielerorts nicht mehr romantischen Vorstellungen vom Handwerk als reiner Handarbeit. Das kann zu Irritationen führen. Hier lohnt es, transparent über die eigene Philosophie aufzuklären sowie zu zeigen, wie Handwerk heute aussehen kann und warum im Betrieb technische Anlagen zum Einsatz kommen.

5. Der Betrieb wird auch für Fachkräfte attraktiver.
Ein handwerkliches Unternehmen, das als Marke und als moderner Arbeitgeber sichtbar wird, zieht mehr Bewerber/innen an. Voraussetzungen sind auch hier Transparenz und tatsächlich gelebte Marketingbotschaften in Backstube und Verkauf. Eine Mischung aus „echtem“ Handwerk, also beispielsweise handwerklichen Rezepturen, und körperlicher Entlastung von Routineaufgaben, zum Beispiel durch den Einsatz von Maschinen, kommt bei vielen Fachkräften gut an.

Die Frage, was zum Handwerk zählt und wo die Grenze ist, lässt sich mit Blick auf die sehr heterogene Backbranche nicht mehr so eindeutig beantworten, wie noch vor ein paar Jahrzehnten. Vielmehr liegt die unternehmerische Verantwortung bei jedem einzelnen Betrieb, für sich selbst transparente Kriterien zu definieren, an denen er sich – nicht zuletzt von der Kundschaft und den Mitarbeitenden – dann messen lassen muss.


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Edda Klepp

Edda ist Chefredakteurin bei BROTpro und BROT. Seit 2016 bewegt sie sich in der backenden Branche und ist auch privat eine begeisterte Brotbäckerin. Wenn sie nicht gerade schreibt oder Teige knetet, ist sie häufig unterwegs zu Reportagen und Konferenzen oder lässt die Seele baumeln bei einem guten Buch und einer Tasse Tee.