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Wie Bäcker fahrlässig Potenzial verschenken

Wie Bäcker fahrlässig Potenzial verschenken

Qualität statt Protein

Die Entscheidung, welches Getreide angebaut wird, folgt vollkommen falschen Prioritäten. Weil Bäcker sich zu wenig mit der Qualität des Korns sowie den Wünschen ihrer Kundinnen und Kunden beschäftigen, bestimmt der Proteingehalt über die angebauten Sorten. Auf der Strecke bleiben qualitative Parameter. Damit verschenken Bäcker eine Menge Potenzial. Schön doof, findet PD Dr. Friedrich Longin von der Universität Hohenheim. Der Züchter wünscht sich viel mehr Input von denen, die am Ende der Wertschöpfungskette stehen.

Ich habe Agrarbiologie studiert und mich ziemlich schnell auf Pflanzenzüchtung spezialisiert. Als ich dann 2010 aus dem Mais kam und die Leitung der Weizenforschung an der Universität Hohenheim übernahm, habe ich viele Bäcker kontaktiert. Ich war auf der Suche nach Praktikern, die mir erklären, was für sie die Qualität des Weizens ausmacht.

Ich war sehr überrascht davon, wie viele Bäcker ich fragen musste, und wie wenige mir etwas Konkretes sagen konnten. Meistens wurde ich auf den Müller verwiesen, der mir in der Regel einiges erklären konnte.

Nun bin ich bald zehn Jahre in diesem Geschäft und meine Arbeit mit Dinkel, Emmer, Einkorn, Durum- und Brotweizen lässt mich regelmäßig in engen Kontakt mit Bäckern kommen. Noch immer stelle ich fest: Nur wenige von Euch interessieren sich für die Qualität des Weizens. Hauptsächlich geht es darum, dass die einmal ausgearbeitete Mehlspezifikation möglichst gleichbleibend und im Idealfall billig ist.

Das stimmt mich doch sehr nachdenklich. Aus meiner – vielleicht wissenschaftlich-naiven – Sichtweise sitzt der Bäcker am Ende der Getreide-Wertschöpfungskette mit direktem Kontakt zum Kunden, zum Endverbraucher. Das mag einerseits manchmal nervig sein. Ich will mir gar nicht die mühseligen Diskussionen zum Thema „Weizen macht dumm und dick“ vorstellen.

Weizenzüchter Friedrich Longin wünscht sich Input von Bäckern

Andererseits ist es aber eine einmalige Möglichkeit. Du, lieber Bäcker, kannst Kundenwünsche umsetzen, neue Märkte erschließen und somit die ganze Ausrichtung der Wertschöpfungskette bestimmen. Ich als Pflanzenzüchter sitze ganz am Anfang dieser Wertschöpfungskette und warte darauf, die Wünsche Deiner Kunden kennenzulernen, um sie bei der Züchtung zu berücksichtigen.

Aber Du beschäftigst Dich gar nicht mir dem Thema und ich muss entsprechend die Vorgaben der mir in der Wertschöpfungskette nachgelagerten Partner erfüllen. Die der Landwirte, Getreidehändler, Müller und Bäcker.

Wenn ich das genauer betrachte, stelle ich mir schon so manche Frage. Ist die Backqualität von Weizen wirklich so wichtig, wie immer behauptet wird? Der beste Backweizen ist ja der E-Weizen, aber es werden vor allem A- und B-Weizen angebaut. Sie landen also mehrheitlich in den Backstuben. Ein gutes Backmittel lässt sogar den C-Weizen bestens backen.

Muss der Weizen wirklich möglichst viel Protein haben? Viel Protein braucht viel Düngung. Das schadet der Umwelt. Zudem bringt viel Protein beim Landwirt weniger Ertrag. Kommt es nicht vielmehr auf die Protein-Qualität an, also Klasse statt Masse?

Wusstet Ihr, dass den Landwirten in Deutschland etwa 150 Weizensorten für den Anbau zur Verfügung stehen? Habt Ihr mal darüber nachgedacht, welche davon die Beste für Euch und Eure Kunden wäre?

Der Landwirt wird vor allem nach Kornertrag auswählen, der Getreidehändler blickt auf den Proteingehalt, der mehr Geld verspricht, auch wenn er beim Backen nicht hilft. Der Müller interessiert sich für Mehlausbeute und die Qualitätsmerkmale, die Ihr von ihm fordert. Aber wenn Ihr nichts fordert, muss der Müller eben machen, was er für richtig und gewinnbringend hält.

Wir Züchter testen neue Weizensorten im Rahmen der Zulassung an acht Orten über drei Jahre. Dabei werden alle aktuell geforderten Qualitäten bestimmt. Also vor allem Backvolumen im Rapid-Mix-Test und nachgeordnet dann Proteinmenge, Proteinqualität und Fallzahl. Dieses Wissen ist einmalig und in der Beschreibenden Sortenliste nachzulesen.

Der Landwirt kann es nachlesen, wird aber vor allem die Sorten aussuchen, die ihm am meisten Profit versprechen. Das sind die mit viel Kornertrag und Proteingehalt. Letzterer interessiert vor allem Getreidehändler und Müller, weil sie im internationalen Handel für Weizen mit hohem Proteingehalt mehr Geld bekommen. So wird dann häufig nur noch getrennt nach viel und wenig Proteingehalt. Das umfangreiche Wissen über die Qualitäten der Sorten aber verschwindet mitten in der Wertschöpfungskette.

Dabei ist Masse bekanntlich etwas anderes Klasse. Im Gegenteil: Beste Backweizen von heute haben in der Tendenz weniger Proteingehalt als beste Weizensorten vor 20 oder 30 Jahren. Der Müller muss versuchen, per Sortenmischung das Beste für Euch Bäcker herauszuholen, aber zaubern kann er nicht.

Es sei denn, er hat die Möglichkeit, direkt auf den Landwirt zurückzugreifen und bei der Sortenwahl mitzubestimmen, um echte Qualitäten einzulagern. Aber warum soll er das tun, wenn es den Bäcker in der Regel nicht interessiert? Und warum interessiert sich eigentlich kaum einer von Euch für echte Qualität? Eben nicht nur für Backvolumen, sondern für positive Inhaltsstoffe, Geschmack, Frischhaltung?

Ich würde mir wünschen, dass wir in der Getreide-Wertschöpfungskette in Zukunft echte Qualitäten messen und optimieren, die getrieben werden von Bäckern und den Wünschen ihrer Kunden. Ich bin dazu bereit und warte auf Eure Anregungen für kommende Forschung und Züchtung, für Qualität bei Weizen und seinen Verwandten.


Weizensorten im Vergleich

Die Ergebnisse des zweiten Backmarathons der Universität Hohenheim zusammen mit Bäcker BeckaBeck und Stelzenmüller Hermann Gütler brachten interessante Ergebnisse. Es wurden 18 alte und 22 moderne Weizensorten exakt nach dem gleichen Rezept verbacken und dann nach einem modifizierten DLG-Schema Backqualität sowie Geschmack der Brote in einer Konsensprofilierung von sechs Personen bewertet.

Dabei wurde der Geschmack von sehr fad (= 1) bis sehr aromatisch (= 9) beurteilt. Die Brote verschiedener Sorten unterscheiden sich sehr stark im Geschmack (y-Achse). Dabei gab es keine Unterschiede zwischen alten und neuen Weizensorten, in beiden Gruppen fanden die Tester fade wie auch sehr gut schmeckende Sorten.

Wenn man nun noch den Ertrag der Sorten auf dem Feld betrachtet (x-Achse), sieht man etwas ganz Spannendes: Auch Sorten mit höchstem Ertrag hatten ein sehr aromatisches Brotaroma. Die Sorten Impression und Hybery kombinieren sogar drei wichtige Eigenschaften: hoher Ertrag, aromatischer Brotgeschmack und gute Backqualität.

Insofern ist es möglich, durch die Auswahl der Weizensorte ein besonders gutes Aroma zu erzielen, ohne dass es Einbußen in der Backqualität oder im Feld für den Landwirt gibt. Eine einmalige Chance, die die meisten Bäcker und Müller bisher aber überhaupt nicht nutzen. (Quelle: verändert nach Beck und Longin 2017).


Fotos:
chagpg
juanjo
Nitr
rh2010
Steffen Hoeft


Auszug aus Ausgabe 03/2019

Dieser und weitere interessante Artikel erschienen in Ausgabe 03/2019 von BROTpro. Die komplette Ausgabe kann im Alles-rund-ums-Hobby-Shop bestellt, direkt im Browser gelesen oder über die App von BROT im Google Play Store beziehungsweise Apple App Store bezogen werden.

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Dr. Friedrich Longin

Dr. Friedrich Longin studierte an der Universität in Hohenheim Agrarbiologie mit Vertiefung auf Biotechnologie und Pflanzenzüchtung.