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Wie kann die Zukunft der Handwerksbäckerei aussehen

Wie kann die Zukunft der Handwerksbäckerei aussehen

Fokussierung

Die Anzahl der Handwerksbäckereien in Deutschland wird weiter stark zurück­gehen. Es wäre falsch, die fehlende Nachfolge als Grund dafür zu nennen. Attraktive, Gewinn erzielende Betriebe finden immer Interessenten. In vielen Branchen heißt der Schlüssel für die Zukunft „wachsen oder weichen“. Anders bei den Handwerks­bäckereien. „Sich den neuen Herausforderungen stellen oder weichen“ ist hier das bessere Motto. Zu diesen Herausforderungen gehört neben einem klaren Auftritt und hochwertigen Backwaren der Mensch in Form von Mitarbeiter und Kunde.

Der Wunsch der Menschen nach etwas besserem als Massenware bleibt. Dieser Satz wirft zunächst ein zuversichtliches Licht auf die Zukunft der Handwerksbäcker. Der Kunde sucht nach aromatischer Tiefe, Individualität sowie Abwechslung und findet den Geschmack von standardisierten Produkten auf Dauer eintönig. Der gute Geschmack ist tief in Menschen verankert.

Sein Gegenspieler ist der bequeme Kunde. Der Mensch als ‚homo oeconomicus’ betritt seltener als früher Fachgeschäfte um Brot, Käse, Fleisch und Gemüse zu kaufen. Im Lebensmitteleinzelhandel gibt es diese Waren im SB-Bereich in vielfältiger Auswahl. Das spart zusätzliche Wege. Der Preis der Ware steht erstmal im Hintergrund. Ob der gute Geschmack zukünftig stärkeren Einfluss auf das Kaufverhalten des Kunden hat als die Bequemlichkeit, hängt von zwei Faktoren ab:

1. Überzeugt der Geschmack des handwerk­lichen Brotes?
2. Fühlt sich der Kunde in der Einkaufssitu­ation wohl?

Das Hauptaugenmerk für das Einkaufserlebnis sollte auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Verkauf gerichtet werden. Die Bedientheke ist der Ort der Kommunikation schlechthin und muss funktionieren. Nichts darf dem Zufall überlassen werden. Nur mit einem gut trainierten, informierten und motivierten Verkaufsteam wird man überleben können. Achtsamkeit und Aufmerksamkeit für Kunden stehen im Vordergrund.

Dazu brauchen die Fachverkäufer/innen eine positive Einstellung zum Verkaufen: „Ich mag Verkaufen“ sollte in den Köpfen des Teams verankert sein. Parallel müssen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine hohe Wertschätzung und angemessene Entlohnung erhalten.

Die zentrale Frage ist: Wie motiviere ich Mitarbeiter und wie kann ich dazu beitragen, dass das Image der Mitarbeiter im Verkauf von Backwaren gesteigert wird? Der Anteil von Fachkräften in Deutschland, die das Ziel Ihres Unternehmens nicht kennen, liegt laut Wirtschaftsmagazin „­brandeins“ bei 25%. Worum geht es in den vielen Stunden der Arbeit im Unternehmen? Will der Chef einen neuen Porsche oder warum sollten sich die Umsätze nach oben entwickeln? Machen Sie doch mal einen Test und befragen Sie Ihr Team.

Wie Verkäufer von teuren Sportwagen sollten auch die Mitarbeiter im Verkauf von hoch­wertigen Handwerks-Backwaren professionell geschult werden. Einerseits müssen sie wissen, was sie verkaufen. Andererseits auch wie sie am besten verkaufen. Von Körpersprache bis zum richtigen Umgang mit Reklamationen.

Neben dem Faktor Mensch spielt natürlich das Produkt eine entscheidende Rolle bei der Zukunftssicherung. „Im Zweifelsfall Bio“ sagte einst der Babykosthersteller Claus Hipp. Ein schöner Ausspruch, weil er nicht zu ideologisch klingt. Bei der Qualität eines guten Brotes steht der handwerkliche Prozess im Vordergrund. Soll heißen: Es gibt sowohl gute konventionelle Bäcker als auch schlechte Biobäcker. Im optimalen Fall kommen die guten konventionellen Bäcker irgendwann zu der Erkenntnis, dass mit Bio-Rohstoffen auch besseres Brot gebacken werden kann. Das Umweltbewusstsein der Kunden wird steigen, und so auch die Nachfrage nach Bioprodukten.

Zunehmend sehnen sich Menschen nach Einfachheit. In jeder Hinsicht. Es ist sinnvoll, künftig ein schmales Sortiment anzubieten, das aber in hervorragender Qualität. Die Hauptenergie des Betriebes sollte nicht in das Snack-, Gastro- und Kaffeegeschäft fließen, sondern in die Herstellung und Vermarktung guter und einfacher Produkte.

Das gilt es dann, richtig zu kommunizieren. Tradition ist Vergangenheit, Veränderungskultur und Entwicklungsbereitschaft bestimmen die Zukunft. Um auch junge Menschen als Kunden zu gewinnen, bedarf es einer klaren Kommunikation. Schließlich ist es für die Qualität nicht von Relevanz, seit wann die Bäckerei besteht, sondern was hier und heute geboten wird. Eine wertvollere Information für den Kunden ist es, von den backtechnologischen Besonderheiten zu erfahren. Und das in einer Sprache, die einerseits spannend ist und die er andererseit versteht. Außerdem ist interessant, wer hinter den Backwaren steht: ein Familie, eine Chefin, zwei Brüder, zwei Freunde?

Vereinfachung kann auch an anderer Stelle helfen. In französischen Bäckereien gibt es zunehmend automatische Bezahlsysteme, bei denen die Kunden mit Bargeld zahlen können und über das System ihr Wechselgeld erhalten. Ein sehr großer Vorteil liegt darin, dass die Fachverkäufer/innen nicht mit dem Geld in Berührung kommen und sich komplett auf den Verkauf, die Ware und die Kunden konzentrieren können.

Trends sollten vorsichtig behandelt werden, da sie oft kurzatmig sind. „Mit Urgetreide“, „Aus der Region“, „lange Teigführung“ – langweilig. Das alles hat sich längst die Industrie auf die eigenen Fahnen geschrieben. Der Begriff „regional“ ist nicht geschützt und von der Nordsee bis zum Bodensee dehnbar. Im Gegensatz zum „bio“ gibt es in der Regel keine gesetzliche Verankerung und Kontrolle. Die eigenen Werte gehören ins Zentrum der Kommunikation, nicht kurzlebige Trends.

Positiver Wandel aber sollte mitgestaltet werden. Wo ist zum Beispiel die Antwort der Handwerksbäcker auf den gegenwärtigen Bewusstseinswandel zum „frei von Kunststoffverpackung“? Wer kann im Lebensmittelhandel weniger zu den 25 Millionen Tonnen Kunststoff­abfällen in der EU beitragen als Handwerksbäcker?

Es gibt eine große Spannbreite von Stellschrauben, um die Zukunft der Handwerksbäckerei zu gestalten. Sicher ist: Nur mit einem motivierten Team, das das Image verinnerlicht hat, bei einem Fachhändler von Brotspezialitäten tätig zu sein, kann der Erfolg des Unternehmens langfristig gesichert werden. Handwerklich hergestellte Backwaren, die in einem solchen Umfeld verkauft werden, gehören dann auch in das hochpreisige Segment und es gilt die Devise: „besser vor billiger“. Also müssen die Preise steil nach oben. Das alles kostet Geld und und vor allem Kraft, wird sich aber langfristig auszahlen. 


Fotos:
ikonoklast_hh
OscarStock


Auszug aus Ausgabe 01/2019

Dieser und weitere interessante Artikel erschienen in Ausgabe 01/2019 von BROTpro. Die komplette Ausgabe kann im Alles-rund-ums-Hobby-Shop bestellt, direkt im Browser gelesen oder über die App von BROT im Google Play Store beziehungsweise Apple App Store bezogen werden.

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Elke zu Münster

Elke zu Münster verbrachte schon Kindheit und Jugend in einem landwirtschaftlichen Betrieb. An eine Ausbildung in der Industrie schloss sich das Studium der Agrarwirtschaft mit Schwerpunkt Betriebswirtschaft an. Seit 1998 ist sie Brotprüferin der DLG, zudem seit vielen Jahren als Dozentin und Beraterin in der Backbranche sowie im Bio-Fachhandel aktiv.