• 040/42 91 77-110
  • service@wm-medien.de

In der Hotelerie schlummert Potenzial für Handwerksbetriebe

In der Hotelerie schlummert Potenzial für Handwerksbetriebe

Handwerk vs. Tiefkühlware

In Hotels wird regelmäßig aufgebacken. Die Gäste haben den Eindruck frischer Backware am Frühstücksbuffet, während die Teig-Rohlinge in Wahrheit Monate zuvor aus einer Fabrik am anderen Ende der Welt gefallen sind. Wenigstens werden sie auf diese Weise günstiger satt als wenn die Ware vom Handwerksbäcker im Ort käme. Aber ist dem wirklich so? HP Rauen, Bäckermeister und Brotsommelier, hat sich dieser Frage in aller Ausführlichkeit gewidmet. Und ist zu erstaunlichen Ergebnissen gekommen.

Tiefkühlbackwaren gelten gegenüber Backwaren aus der Handwerksbäckerei gemeinhin als günstiger. Denn verglichen wird der Einkaufspreis. Und hier gewinnt die Industrieware um Längen. Natürlich. Doch in Wahrheit greift diese Betrachtung zu kurz. Denn vollkommen vernachlässigt werden all die Kosten drumherum.

HP Rauen hat sich im Rahmen seiner Abschlussarbeit zum Brot-Sommelier ausführlich damit beschäftigt und all die Kosten und Fakten zusammengetragen, die auf den ersten Blick nicht ins Auge fallen.

Wichtiges Argument bei der Entscheidung für TK-Backwaren ist die Verfügbarkeit. Hier wird mehr oder weniger spontan ausgefroren was am Tag nötig ist. Eine Bäckerei braucht die Bestellung bereits am Vortag. Es muss also genauer analysiert und geplant werden um die Retouren gering zu halten und keinen plötzlichen Mangel zu haben.

Dabei sollte es in jedem Hotel eine Liste der Gäste geben, die am nächsten Morgen zum Frühstück erwartet werden. Kombiniert mit Erfahrungswerten lässt sie einen klaren Bedarf ermitteln. Retouren sind gleichwohl kaum vermeidbar. Bei einer rein wirtschaftlichen Betrachtung spielen sie aber eine geringere Rolle als Leerlaufzeiten der Aufbacköfen.

Denn in der Regel werden sie für die Dauer des Frühstücks nicht abgeschaltet, um Backwaren jederzeit nachlegen zu können. Daraus ergeben sich im Durchschnitt zwei bis drei Leerlaufstunden, in denen die Öfen bei etwa 70 Prozent Leistung weiter Energie verbrauchen. Das ist teurer als Retouren.

Nachbestellungen sind ein schwierigeres Problem. Aber dafür lassen sich in der Regel individuelle Lösungen finden.

Aber wie sieht nun die Kalkulation aus? Erster Schritt der Betrachtung sind die mit der TK-Ware verbundenen Arbeitsschritte:

Warenannahme und Einlagern der TK-Ware in den Froster
Holen der Ware aus dem Kühlhaus
Auspacken der Backwaren
Aufsetzen der Backbleche
Einschieben in den Ofen
Kontrolle des Backprozesses
Ausbacken
Reinigung Ofen und Bleche
Entsorgung Kartonage und Plastikmüll

Neben Energie- spielen also vor allem Personalkosten eine Rolle. Sie solide und allgemeingültig zu berechnen, ist eine kaum zu stemmende Herausforderung. HP Rauen hat es versucht (siehe Kasten “Personalkosten”)

Weiter Faktor sind die Ofenkosten. Dabei wurde der Umgang des Personals mit dem Kostenpunkt Energie näher betrachtet. So wurde in der Praxis folgender Umgang festgestellt: Bei Betrieben, die den Ofen für das Aufbacken von TK-Teiglingen verwenden und in denen die
Frühstücksphase klassisch von 7 bis 10 Uhr dauert, werden die Öfen zum schnelleren Nachbacken überwiegend weiter betrieben.

Im Leerlauf, also ohne Backwaren, verbraucht der Ofen etwa 70 Prozent der Energie, die bei einem normalen Backvorgang notwendig wäre. Berechnet wurden 60 Minuten Leerlauf pro Tag, obwohl oft 120 und mehr üblich sind.

Weitere Faktoren der Wirtschaftlichkeits-Betrachtung waren Lagerung, Kühlung, Material und Verpackungsentsorgung. Aber auch die Finanzierungskosten des Ofens blieben nicht außen vor.

Den Beispielrechnungen, die jeweils von Netto-Preisen ausgehen, lagen Szenarien zugrunde, oft basierend auf Erfahrungswerten von HP Rauen in der Zusammenarbeit mit Lieferkunden. Errechnet würde die jährliche Ersparnis für die Betriebe.

1) Frühstückssortiment mit gemischen Backwaren

60 einfache Brötchen
35 Mehrkorn-Brötchen
20 Laugenbrötchen
30 Roggenbrötchen
8 Coissants.

Einkauf TK 39,30 Euro
Einkauf Bäckerei 48,44 Euro

Mehrkosten TK-Ware (inklusive Wareneinsatz, Lagerung, Kühlung, Aufbacken, Verpackungsentsorgung, Material und Personaleinsatz):

Kleinbetrieb
Mehrkosten TK bei geringfügig Beschäftigten 100,49
Mehrkosten TK bei Fachpersonal 788,78

Mittlerer Betrieb
Mehrkosten TK bei geringfügig Beschäftigten 1.023,75
Mehrkosten TK bei Fachpersonal 1.733,95

Großbetrieb
Mehrkosten TK bei geringfügig Beschäftigten 4.121,87
Mehrkosten TK bei Fachpersonal 4.832,07

Das verwendete Zahlenmaterial stammt aus einem Hotel, das Rauen täglich beliefert. Zugrunde liegen die durchschnittlichen Belieferungszahlen des ersten Halbjahres 2017 pro Tag. Die Zeiten der einzelnen Arbeitsschritte wurden in Zusammenarbeit mit Hotels ermittelt, wobei die
Aussagen bezüglich der Arbeitszeit selbst bei Mitarbeitern des gleichen Hotels unterschiedlich
waren. So stellen sie zumindest eine Basis zur Berechnung der Kosten dar.

Die verschiedenen Rechenbeispiele belegen, dass das Fertigbacken von TK-Backwaren beim
Heranziehen einer Vollkostenrechnung betriebswirtschaftlich nicht sinnvoll ist. Insbesondere wird es unrentabel, je größer der verwendete Konvektomat und je kleiner die
gebackenen Stückzahlen sind. Die Unterschiede zwischen dem Einsatz von geringfügig Beschäftigten und Fachpersonal sind enorm.

2) Hotelbetrieb mit 25 Gästen

20 einfache Brötchen
10 Mehrkorn-Brötchen
10 Laugenbrötchen
10 Roggenbrötchen
4 Coissants.

Einkauf TK 14,10 Euro
Einkauf Bäckerei 17,62 Euro

Kleinbetrieb
Mehrkosten TK bei geringfügig Beschäftigten 1.655,21
Mehrkosten TK bei Fachpersonal 2,145,68

Mittlerer Betrieb
Mehrkosten TK bei geringfügig Beschäftigten 3.086,65
Mehrkosten TK bei Fachpersonal 3.331,88

Großbetrieb
Mehrkosten TK bei geringfügig Beschäftigten 6.754,45
Mehrkosten TK bei Fachpersonal 7.464,65

Je kleiner die Gästeanzahl in einem Betrieb ist, desto höher sind die Kosten für die Herstellung von TK-Backwaren. Wenn an den Wochenenden weniger Menschen beherbergt werden und dadurch weniger TK-Backwaren aufgebacken werden, ist der Verlust in den Betrieben besonders hoch.

3) Vergleich von Billig-Baguettes für das Essen am Abend

TK-Baguette: 0.69 Euro
Bäckerei-Baguette: 0,90 Euro

Annahme: 10 Stück

Mehrkosten TK Kleinbetrieb 1.063,63
Mehrkosten TK Mittelbetrieb 1.409,28
Mehrkosten TK Großbetrieb 2.597,28

4) Vergleich von Premium-Baguettes für das Essen am Abend

TK-Baguette: 1,96 Euro
Bäckerei-Baguette: 1,80 Euro

Annahme: 10 Stück

Mehrkosten Kleinbetrieb 2.244,73
Mehrkosten Mittelbetrieb 2.663,06
Mehrkosten Großbetrieb 3.851,06

Die Gastronomie setzt überwiegend TK-Billigware ein. Beim Vergleich der Wirtschaftlichkeit wird aber keine Ersparnis beim Einsatz von TK-Industrieprodukten erzielt. Wenn in der gehobeneren Gastronomie TK-Premiumbackwaren eingesetzt werden, muss sich das Handwerk nicht verstecken. Hier kann der örtliche Bäcker oft ein besseres Produkt zu einem günstigeren Preis anbieten. Denn Premiumprodukte lassen sich auch TK-Hersteller bestens bezahlen. Hier kann das Backhandwerk aufgrund der besseren Qualität ein guter Partner sein. Einzig die Frage der Belieferung am Abend ist zu klären.

Bleiben am Ende die Gäste. Die Abschlussarbeit von Brotsommelier Stefan Keller kam zum Schluss, dass 75 Prozent der Verbraucherinnen und Verbraucher nicht in der Lage sind, eine besondere Qualität von Backwaren festzustellen. Eine Definition von Qualität sei nur unzureichend möglich.

Ist es am Ende also egal, welche Backwaren zum Frühstück in einem Hotel angeboten werden? Ein Versuch von HP Rauen legt anderes nahe. In einem Hotel hatten die Gäste fünf Tage lang die Wahl. Hier die TK-Produkte, dort die Bäckerei-Backwaren. 196 Gäste hatten die Wahl. In knapp 70 Prozent alle Fälle griffen die Kundinnen und Kunden zur Handwerksware.

Sicher nur eine empirische Feststellung mit einer kleinen Erhebungsmenge. Aber sie gibt eine Tendenz an, die in die Zeit passt. Das Thema Regionalität spielt beim Kaufverhalten eine immer größere Rolle. Hier können sich die Gastronomie und das Backhandwerk bestens gemeinsam positionieren.

Es empfiehlt sich in Gastronomie und Hotelerie die grundsätzliche Sinnfrage nach dem dem Einsatz von Tiefkühl-Backwaren. Alle Rechenbeispiele wie auch die Kundenreaktion zeigen, dass die solide betriebswirtschaftliche Betrachtung eher die Kooperation mit dem örtlichen Handwerk nahelegt. Insbesondere dann, wenn die Qualität deutlich über der Industrieware liegt.

Denn wenn sich die handwerklichen Backwaren spürbar von TK-Produkten unterscheiden und dies einhergeht mit höherer Flexibilität in Sachen Lieferzeiten, liegt eine große Chance in der Kooperation mit der Gastronomie.

Begleitet werden sollte sie natürlich mit entsprechender Kommunikation. “Unser Frühstückskorb wird mit Backwaren aus dem Bäckerfachgeschäft XY gefüllt“ demonstriert Regionalität, vor allem aber auch die Tatsache, dass das Hotel sich besondere Mühe gibt, den Gästen gute Produkte anzubieten.

Es schlummert viel Potenzial an dieser Stelle.

Zusammen stark
Das Thema Bäckerei und Gastronomie birgt eine Menge Kooperations-Potenzial. Die Gastronomie kauft aus Vereinfachungsgründen „Ohne-Sorgen-Wohlfühlpakete“ von Zulieferern. Da kommen Fleisch, Gemüse, Molkereiprodukten und TK-Backwaren aus einer Hand. Es locken bessere Preise. Der Ofen ist sowieso da und die Teiglinge werden einfach mitgebacken,sind frischer, die Gäste zufriedener. Frische überdeckt Qualität. Verschwiegen wird gern, dass der Verkauf von TK-Backwaren eine deutlich größere Spanne hat als Fleisch, Molkereiprodukten und Gemüse.

Warum also nicht die Synergien innerhalb des Mittelstand nutzen? So könnten in Hotelküchen einfachen Gerichten für die Bäckerei hergestellt werden, wo sie als Mittagstisch zu haben sind. Ein Geben und Nehmen.

Personalkosten
So wurde mit Personalkosten kalkuliert:
Wie in jedem Betrieb wird auch in der Gastronomie sowohl mit geringfügig Beschäftigten als auch mit Fachangestellten gearbeitet. Hier könnte die Argumentation der Gastronomie im Raum
stehen, die Berechnungen würden nicht stimmen. Die Personalkosten in der Gastronomie wären günstiger. Aus diesem Grund arbeite ich bei allen Berechnungen einerseits mit der billigsten Variante mit geringfügig Beschäftigten und andererseits mit den Werten für Hotelfachangestellte.

Um auch hier die gesetzlichen Bestimmungen zu erfüllen, ist auch bei der Berechnung der geringfügig Beschäftigten von der Bezahlung von Urlaub und Kranktagen ausgegangen worden, obwohl dies in den meisten Fällen nicht so gehandhabt wird. Durch die modernen Medien können sich die Mitarbeiter genau informieren. Auf Dauer ist eine korrekte Bezahlung, mit Urlaub und Kranktagen bei geringfügiger Beschäftigung unumgänglich.

Bei der Berechnung der durchschnittlichen Löhne bei Hotelfachangestellten wurde der aktuelle
Tarifvertrag des Hotel- und Gaststättenverbands zugrunde gelegt.

Bei den geringfügig Beschäftigen muss mit dem gesetzlichen Mindestlohn von 8,84 Euro gerechnet werden. Zuzüglich der Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung von 32% macht hier der Stundenlohn bereits 11,67 € pro Stunde aus. Es wird aber nicht nur an Werktagen gearbeitet, sondern auch an Sonn- und Feiertagen.

Es ist auch davon auszugehen, dass Mitarbeiter auch in Nachtstunden für das Herstellen von TK-Backwaren benötigt werden. Eventuelle Nachtstunden wurden aber nicht in die Berechnung
aufgenommen.

Nicht zu vergessen sind in diesem Zusammenhang die Beiträge zur Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gaststätten. Bei allen Berechnungen, bei denen nicht zwischen Klein-, Mittel- und Großbetriebe unterschieden wurde, war der Preismittelwert aus geringfügiger Beschäftigung und Fachpersonal Berechnungsgrundlage.


Fotos:
ake1150
Lucky Dragon
Stefan Körber
photocrew
U. J. Alexander


Auszug aus Ausgabe 04/2019

Dieser und weitere interessante Artikel erschienen in Ausgabe 04/2019 von BROTpro. Die komplette Ausgabe kann im Alles-rund-ums-Hobby-Shop bestellt, direkt im Browser gelesen oder über die App von BROT im Google Play Store beziehungsweise Apple App Store bezogen werden.

Avatar-Foto
Sebastian Marquardt

Sebastian ist Verleger von BROT und BROTpro. Aus Notwehr fing er mit dem Selberbacken an. Aus anfänglicher Begeisterung wurde tiefes Interesse an der Materie. Wenn er die Hände nicht im Teig hat, liegen sie meist auf einer Tastatur. Zwischendurch reist Sebastian durch die Welt und besucht Backstuben auf allen Kontinenten.